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Entdeckung meiner inneren Muse
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Entdeckung meiner inneren Muse

Eine Musenreise nach Fehmarn

Bereits ist es wieder August, der Winter naht.

Für mich ist der Winter die herausforderndste Jahreszeit, ein Zeitraum, der mich an meine dunklen Tage erinnert, der mich oft einhüllt in Lethargie und Traurigkeit. „Nüsse sammeln für den Winter“ – lese ich auf Bettinas Webseite Art and Therapy. Eine Musenreise nach Fehmarn. Nicht ganz mein vorzügliches Reiseziel, da ich mehr der südlichen Sphäre fröne. Und doch zieht es mich dahin, denn auch garstig und rau darf in meinem Leben einen Platz haben, und es ist allerhöchste Zeit, dieses Jahr noch etwas für mich zu tun. „Nüsse sammeln für den Winter“ – Ressourcen aufbauen, von denen ich in der dunklen Jahreszeit zehren darf, „für mein Wohlbefinden, für meine Gelassenheit und für mein lebenswertes Leben“ - ganz in Bettinas Worten wiedergegeben.

Prioritär reiste ich mit, um mir den Raum für Entwicklung zu schaffen. Als Mutter zweier Kinder im Alter von drei und sechs Jahren gibt es im Alltag wenig Inseln, um meine wirklich „grossen“ Themen zu betrachten, anzunehmen und loszulassen. Die Beschäftigung mit dem Expressionismus und Ernst Ludwig Kirchner war für mich sekundär.

So reiste ich mit schwerem Gepäck – im wahrsten Sinne des Wortes – nach Fehmarn.

Fehmarn und das Festland sind durch eine Brücke verbunden. Bereits mit der Überquerung dieser Brücke fühlte ich mich eingehüllt in diese ganz besondere Atmosphäre der Insel.

Der Weg führte mich weiter zur Alten Scheune nach Bojendorf, unserer Retreat-Oase für die kommende Woche.

Dort hatte mich der Musenzauber endgültig erreicht.

Eine liebevoll restaurierte, von unheimlichen Charme und Zauber erfüllte Scheune mit grossem Garten inspiriert mich und ich fühle mich sofort angekommen. So betrete ich die Tür zu meinem Selbst – öffne all den Prozessen, den tiefverborgenen Gefühlen, die Pforte, bin ganz bei mir und lausche...

So beginnt meine Musenwoche, die ich gemeinsam mit weiteren Musen, der wunderbaren Bettina und unserem Engel Roger (dem hier nochmals ein besonderer Dank gebührt) verbringe.


Zu Beginn war ich völlig in meinem Prozess, kaum in der Lage, mich auf den Expressionismus und Ernst Ludwig Kirchner mit seiner Brücke, einzulassen. Zur Einstimmung besuchten wir die Kirchner Dokumentation in Burg wo viele Reproduktionen und Fotografien des Künstlers ausgestellt sind. Herr Thomas Hillebrand, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Kirchner Vereins Fehmarn, führte uns mit Humor und unglaublicher Leidenschaft in die kunstgeschichtlich so bedeutende Zeit Kirchners auf Fehmarn ein. Die dort ausgestellten Werke gewähren einen Einblick in das kreative Schaffen Kirchners in seinem „irdischen Paradies Fehmarn“ – wie er es selbst nannte.

Langsam inspirierte mich der Künstler, holte mich raus aus meinen eigenen Prozessen und führte mich hin zum Expressionismus und dem „fühlenden Malen“. Selbstbildnisse gehörten zu den zentralen Themen des Kreises rund um Ernst Ludwig Kirchner in den 1920 Jahren. Das Porträtieren des eigenen Antlitzes diente damals der programmatischen Selbstbehauptung und Selbstvergewisserung in einer oft als feindlich empfundenen Kunstwelt. So ist es naheliegend, dass uns das Thema „Selbstporträt – wie ich mich sehe“ durch unsere Musenwoche begleitete.

Selbstporträt?

Hört sich einfach an. Für mich war es verbunden mit dem grössten Widerstand.

Mich porträtieren?

Viele Tränen sind geflossen mit der Einsicht der Tatsache, dass ich nichts porträtieren kann, wenn ich nichts sehe. Ich sehe mich nicht, ich fühle mich nicht – in meinem Leben bin ich nichts. Das hat sich auch in den ganzen Bildnissen, die ich die ersten Tage erschaffen habe, gezeigt. Entweder verweigerte ich die Porträts oder hab einfach mal etwas anderes entworfen. Aber mich selbst anschauen? Nein! So haben mich viel Wut, ja sogar Zorn durch die weiteren Tage begleitet.

Ernst Ludwig Kirchner verbrachte vier Sommer auf Fehmarn und erlebte dort nicht nur sein irdisches Paradies, sondern auch einen Schaffensdrang. Herr Thomas Hillebrand führte uns an Kirchners bevorzugte Orte und Motive heran. Eine inspirierende Wanderung durch die eindrückliche Landschaft Fehmarns, begleitet durch Herrn Hillebrand, eröffnete uns ein Gefühl für die Leidenschaft des Künstlers.

Sich dort zu bewegen wo sich der Künstler selbst vor vielen Jahren durch raue Natur, überwältigende Landschaftsbilder und eindrückliche Gebäude inspirieren liess, war einzigartig.

Durch diese Wanderung inspiriert und beheimatet löste sich auch bei mir viel angestauter Zorn, Trauer und Wut. Und ich durfte mich zum ersten Mal in meinem ganzen Leben als einzigartig und wertvoll wahrnehmen. Dieses Loslassen von alten Glaubensmustern ermöglichte mir, mich zu porträtieren. Plötzlich floss es - der Perfektionismus wich dem Expressionismus, und das Harte wurde weich. Was aus diesem Fluss entstanden ist, berührt mich noch immer - ich, ich als ich, wahrhaftig, kreativ, ausdrucksvoll, einzigartig und wertvoll.

Ein Meilenstein für mich. Ich erkannte, dass ich alle meine Themen nicht loslassen kann, solange ich mir keinen Wert zuschreibe. Solange ich mich nicht sehen will, weil ich da ein verletztes, verkümmertes Ich sehe. Doch das entspricht nicht mehr der Wirklichkeit. Das ist vorbei, und mein Ich ist inzwischen gewachsen, zu einer selbstständigen, bewussten und kreativen Frau. Und ich darf das sein, brauch mich nicht zu verstecken hinter meinen Geschichten und meinen Erlebnissen aus früher Kindheit.

Mein Spiegelbild ist das Jetzt!

So nehme ich an und taste mich behutsam an mein neues Selbst heran, lasse los, was sich da verfestigt hat, staune und bin tief berührt. Begleitet von Tränen und Überwältigung erkenn ich mich immer mehr und immer tiefer. Diese Erkenntnis lässt Raum für Fluss, für Leichtigkeit und für Freude.

Für mich ein tiefgreifender Wendepunkt in meinem Musendasein.

Ich freue mich über meine Kreativität als Expressionistin. Meine Werke berühren mich und ich spüre, wie eine längst verkümmerte, vergessene Quelle neu ins fliessen kommt – die Selbstliebe.

Dieser Flow lässt mich mutig werden und ins Ausprobieren kommen. Und ich wage mich zum ersten Mal ohne den Drang des Perfektionisten an einen Linolschnitt.

Die Arbeit mit dem Material begeistert mich und lässt mich eine Seite an mir erfahren, die sonst eher verborgen liegt – Sanftmut.

Mit viel Leidenschaft und Sanftmut bearbeite ich mein Werk. Das langsame Wachsen, die dadurch entstehende Kostbarkeit, die unterschiedlichen Strukturen und die benötigte Achtsamkeit – alles Eigenschaften, von denen ich mich einvernehmen lasse. Immer weiter, immer voran. Das Leben muss nicht unbedingt gross sein, aber wachsen darf es. Das Ergebnis muss nicht realitätsgetreu sein, es darf Raum für Ausdruck, Interpretation und Lebendigkeit beinhalten.

Abgerundet wurde unsere Musenwoche durch eine kleine, öffentliche Ausstellung in der „Alten Schule Petersdorf“ – dem Bürger- und Veranstaltungszentrum auf Fehmarn. Dort konnten unsere Musenwerke aus der vergangenen Woche betrachtet werden und sie diente uns gleichzeitig als gebührender Abschluss einer intensiven, selbsterfahrenden, wundervollen Musenwoche auf Fehmarn.

Nun heisst es Abschied nehmen. Abschied von einer wundervollen Insel, von einer leidenschaftlichen Gruppe, die mir sehr ans Herz gewachsen ist, von einem herzallerliebsten Zuhause und von Bettina, die all dies mit viel Liebe fürs Detail, mit viel Herz und Sorgfalt geplant und durchgeführt hat.


Die Heimreise führt mich wieder über die Brücke aufs Festland.

Das schwere Gepäck mit dabei. Doch jetzt ist es nicht mehr gefüllt mit Schwermut und Leid sondern mit Inspiration, Mut und vielen weiteren WinterNüssen, die ich mir zum passenden Zeitpunkt öffnen werde. Schritt für Schritt.

Ein besonderer Dank geht an Herr Thomas Hillebrand vom Kirchner Verein, der uns mit
viel Leidenschaft und Muse den Weg Kirchners auf Fehmarn nähergebracht hat. An Claudia Czellnik von der Medien Agentur Czellnik, die unsere Werke fotografisch festgehalten und uns ein Stück im Musendasein begleitet hat. An Roger Wissler, der sich mit seiner liebevollen und
wertschätzenden Art um unser Musenwohl gekümmert hat. Und nicht zuletzt der lieben Bettina Klimpel von Art und Therapy, die mich nimmt wie ich bin, die mich in all meinen Prozessen, in den Hochs und Tiefs der Woche gehalten und begleitet hat.

Danke Bettina, deine Musenwochen sind etwas ganz tiefes, berührendes, wertvolles in denen Du es immer wieder schaffst, den wunden Punkt zu treffen und somit meinen ganz persönlichen Prozess voranzutreiben.


Büren im September 2019, Sarah Käser